Erziehung

Hat mein Kind die richtigen Vorbilder?

Teenager orientieren sich oft an Influencerinnen und Youtubern. Das löst bei Eltern auch Sorgen aus. Wieso Vorbilder wichtig sind und wie Väter und Mütter ihre Kinder begleiten können.

Der Bildschirm flackert, schnelle Schnitte, verzerrte Stimmen: Auf dem Gaming-Stuhl sitzt ein junger Typ und brüllt in die Kamera, während ihm Hunderttausende Kinder und Teenies dabei zuschauen.

Kommentare wie «Du bist der Beste!» oder «Endlich ein neues Video!» gibt es auf diesem Youtube-Kanal zuhauf. Der Star der Show ist ein Gamer, der sich dabei filmt, wie er «Minecraft» spielt. Er hat fast sechs Millionen Abonnenten. In der Szene ist er einer von vielen.

Ein paar Klicks weiter zeigt eine junge Influencerin, wie die Haut in mehreren Schritten gepflegt werden muss, um einen «Glow» zu bekommen. Auch ihr Publikum ist jung, selbst Achtjährige sitzen vor dem Screen und träumen von porenfreier Haut. Zwischen Hausaufgaben und Musikunterricht lernen sie, welche Augencreme an­geblich gegen Stress hilft und dass «Selfcare» auch mal 100 Franken pro Tube kosten darf.

Nützliche Informationen

Text: Edita Dizdar

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Text: Edita Dizdar

Schlechte Einflüsse in jeder Generation

Wenn das eigene Kind solche Inhalte gut findet, fragen sich Eltern oft, in was für einer Welt wir heute eigentlich leben. Verstehen die jungen Leute denn nicht, dass das Leben aus mehr besteht als aus Livestreams, Follower-Zahlen und Beauty-Produkten?

Die Angst, dass Kinder und Jugendliche durch schlechte Vorbilder verdummen oder auf die schiefe Bahn geraten, ist allerdings nicht neu. Schlechte Einflüsse gab es schon immer: Comics, Rock’n’Roll, Fernsehen, Videospiele, Rapmusik, Punk – die Liste liesse sich weiterführen.

Aktuell kommen Social-Media-Plattformen, zweifelhafte Stars und Sternchen sowie Profisportler, die primär mit ihrem Geprotze auffallen, hinzu. Eltern fürchten also schon seit jeher, dass ihnen die Kontrolle abhandenkommt.

Der grosse Unterschied heute ist aber, dass elektronische Geräte den Rund-um-die-Uhr-Zugang zu einem Lifestyle ermöglichen, der kaum zu erreichen ist. Die echte Welt verschwimmt irgendwo zwischen Streben nach Reichtum, Promistatus und unrealistischen Schönheitsidealen.

«Nicht jedes ­problematische Idol führt zu einem Problem.»

Nora Raschle, Professorin für Entwicklungspsychologie

Warum Vorbilder wichtig sind

Durchatmen. Vorbilder haben eine wichtige Funktion im Leben von Heranwachsenden. Sie helfen dabei, herauszufinden, wer man ist und was man will. Am Anfang sind es die Eltern und Bezugspersonen, später die Freunde. Besonders in der Jugend ist die Meinung der Peergroup entscheidend und die Orientierung an berühmten Personen wichtig.

«Vorbilder sind Entwicklungswerkzeuge, sie motivieren und inspirieren», sagt Nora Raschle, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Zürich und gibt Entwarnung: «Nicht jedes problematische Idol führt zu einem Problem.»

Vielmehr sei es so, dass Vorbilder jungen Menschen die Möglichkeit gäben, verschiedene Szenarien durchzuspielen und sich auszuprobieren. Die Fantasie dürfe auch extremer sein als das, wo sich das Kind oder der Jugend­liche im realen Leben hinbewege.

Do’s & Dont’s:

Das hilft

  • Neugierig sein und ­Interesse ­zeigen
  • Fragen, was am Vorbild so fasziniert. Oft sind es andere Dinge, als wir meinen.
  • Sorgen kommunizieren und sie erklären
  • Über eigene Erfahrungen mit ­Vorbildern sprechen
  • Das Thema ruhen lassen, wenn man nicht weiterkommt. Später wieder ansprechen
  • Die eigenen Ängste nicht aufs Kind projizieren
  • Abmachungen treffen
  • Externe Hilfe in Anspruch nehmen, wenn man sie braucht

Das schadet

  • Drohungen und Verbote aussprechen ohne klärendes Gespräch
  • Das Thema zum Tabu ­erklären
  • Abwertend über die ­Vorbilder sprechen
  • Dem Kind das Gefühl geben, dass man es nicht ernst nimmt

Wann Eltern handeln müssen

Nun wissen wir aber auch, dass Grenzen überschritten werden können. Bekommt überbordendes Benehmen zu viel Einfluss auf Gesundheit, Persönlichkeit oder Routinen, müssen Eltern handeln. Diäten, übermässiges Konsumverhalten, gefährliche Challenges, Substanzenmissbrauch und diskriminierendes oder aggressives Verhalten sollten nicht hingenommen werden. Dann ist es höchste Zeit für ein Gespräch.

Ob man es glaubt oder nicht, Eltern bleiben in all diesen Lebensphasen der Kinder auch Vorbild. Wenn wir über diese Idole sprechen, unsere Bedenken mit dem Nachwuchs teilen, ihm vermitteln, welche Werte wichtig sind und was warum nicht akzeptabel ist, hat das Gewicht.

«Authentisches Vorbildsein schafft Vertrauen und hilft Kindern, innere Leitlinien zu entwickeln, an denen sie sich auch ausserhalb des Elternhauses orientieren können», sagt Lulzana Musliu von der Stiftung Pro Juventute.

Reden und vor allem zuhören ist also essenziell. Das gilt auch dann, wenn Kinder unserer Meinung nach über Unwichtiges sprechen. Wenn sie wissen, dass wir immer ein offenes Ohr haben, wenden sie sich in einem anderen Moment mit den wichtigen Fragen und Sorgen an uns.

Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die menschliche Entwicklung nicht in den Teenagerjahren aufhört – zum Glück! Vielen von uns ist heute das eine oder andere aus dieser Zeit peinlich, aber es ist Teil unserer Geschichte. Warum also nicht etwas Vertrauen haben und sich das nächste Mal, wenn das nervige Youtube-­Video läuft, ­dazu­setzen? Vielleicht ist nicht alles so schlimm, wie man meint.

Fotos: Getty Images

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