Wortkarge Kinder: Das Erzählen zum Ritual machen
Wenn der Nachwuchs zu Hause nichts von der Schule erzählen will, macht man sich als Eltern Sorgen. Doch es gibt Tricks, wie man auch wortkarge Kinder zum gelegentlichen Plaudern motiviert.
Während seine Schwester beim Abendessen gerne ausführlich von ihrem Tag erzählt, sitzt Liam jeweils nur da und sagt gar nichts. Fragt die Mutter nach, bekommt sie höchstens ein «Es war so wie immer» zu hören vom Neunjährigen. Hat der Sohn wirklich nichts zu erzählen, oder ist etwas vorgefallen, über das er sich nicht zu reden traut? «Wenn ein Kind schon immer wortkarg war, muss man sich keine Sorgen machen – das gehört vermutlich zu seinem Wesen», sagt Rolf Nyfeler, Leitender Psychologe der Lernpraxis in Zürich. Hellhörig werden müsse man hingegen, wenn sich die Redefreudigkeit des Kindes von einem Tag zum anderen ändere: «Hat ein Kind sonst gerne von der Schule erzählt und will eines Tages plötzlich nichts mehr berichten, ist vermutlich etwas Gravierenderes passiert.» Bisweilen tauchen auch körperliche Begleitsymptome auf wie plötzliches Bauchweh, die darauf hinweisen, dass etwas nicht stimmt.
Für solche Fälle ist es laut Nyfeler hilfreich, wenn man sich ein gutes Netzwerk aufgebaut hat. «Ein Anruf bei den Eltern eines Schulkameraden kann eine gute Idee sein», so Nyfeler, «meist reden nicht betroffene Kinder zu Hause viel offener darüber, wenn jemand zum Beispiel gemobbt wird.» Natürlich könne man auch bei der Lehrperson anklopfen, «doch von Vorfällen, die sich ausserhalb des Schulgeländes ereignen, hat diese womöglich nichts mitgekriegt».
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Das Reden zum Ritual machen
Möchte man als Eltern das Kind generell dazu motivieren, mehr aus seinem Alltag zu erzählen, gibt es diverse Tricks. Bei den ganz Kleinen kann eine Puppe hilfreich sein. «Manche Kinder kommen plötzlich ins Reden, wenn sie der Puppe von ihrem Tag erzählen dürfen – schliesslich sass diese den ganzen Tag zu Hause und freut sich, von den kindlichen Erlebnissen zu hören.» Oder man stellt dem Kind einen Zvieri auf den Tisch und setzt sich gemeinsam hin. Denn oft erzählen Kinder nur deshalb nichts, weil sie keine Geduld dafür haben und lieber spielen gehen möchten – ein feiner Snack lässt sie kurz innehalten.
Was sind gute Zeitpunkte, um das Gespräch zu suchen?
Generell hilft es, wenn man immer zur selben Tageszeit das Gespräch sucht, etwa beim Abendessen oder wenn das Kind schlafen geht. «Am besten beginnt man schon im Kleinkindalter damit und gibt dieser Redezeit auch einen Namen, «Reflexionszeit» etwa oder «Mein Tag»», sagt Nyfeler, «so wird das Ganze zu einem Ritual – und kleine Kinder lieben Rituale.» Allerdings müsse man sich darauf einstellen, dass das Kind mit etwa zwölf Jahren plötzlich keine Lust mehr habe auf diese Gespräche, weil Jugendliche mit beginnender Pubertät genau solche Rituale aufzubrechen versuchen. «In dieser Phase besprechen sie ihre Anliegen lieber mit ihrer Peergroup anstatt mit den Eltern. Das muss man ein Stück weit akzeptieren, es ist normal», sagt Nyfeler. Wichtig sei, präsent zu bleiben und da zu sein, wenn sie plötzlich doch reden wollen – auch wenn das nachts um 2 Uhr passiert.
So motivierst du wortkarge Kinder, von ihrem Tag zu erzählen
- Löchere das Kind nicht direkt nach dem Nachhausekommen mit Fragen, sondern lasse es erst ankommen und durchatmen.
- Bleibe entspannt, wenn das Kind sich nicht mehr an Dinge wie das Mittagsmenu im Hort erinnert. Viele Kinder distanzieren sich nach dem Schulalltag von solchen Details – das hilft ihnen dabei, abzuschalten.
- Setze dich immer zur gleichen Tageszeit zusammen hin und stelle nicht nur Fragen, sondern erzähle auch von deinem Tag.
- Suche das Gespräch während dem Essen, falls das Kind sonst keine Geduld hat, sitzenzubleiben und zu reden.
- Setze ein Thema, indem du sagst: «Ich habe gehört, dass…». Das gibt dem Kind die Möglichkeit, darauf zu reagieren und mehr darüber zu erzählen oder etwas richtigzustellen.
- Stelle spezifische Fragen wie «Welche Aufgabe hat dir heute in Mathe am besten gefallen?».
- Versuche es mit einer Puppe oder einem Stofftier, Kleinkinder erzählen diesen manchmal lieber von ihren Erlebnissen als den Eltern.
Foto: Getty Images
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