Familienalltag

Den Mental Load gerecht verteilen

In den meisten Familien sind die Mütter allein verantwortlich für die ganze Alltagsorganisation – unabhängig davon, ob sie selbst auch berufstätig sind. Warum das so ist und wie man es ändern kann.

Wann muss der Termin für die nächste Impfung vereinbart werden? Was wünscht sich die Kindergartenfreundin der Tochter zum Geburtstag? Passen eigentlich die Skikleider noch? Gedanken, die Müttern fast ununterbrochen durch den Kopf schwirren und sie durch ihre schiere Menge belasten. Man bezeichnet diese ständige Denkarbeit denn auch passend als Mental Load, zu Deutsch mentale Last. Bloss: Weil die Arbeit im Kopf passiert, ist sie nicht direkt sichtbar. Und der Stress, den sie erzeugt, wird gerne unterschätzt – bisweilen sogar von den Betroffenen selbst.

 «Viele Frauen merken lange gar nicht, dass sie so unendlich viel leisten, weil sie es parallel zu ihren anderen Aufgaben machen, etwa auf dem Weg ins Büro oder während dem Kochen», sagt Patricia Cammarata, Psychologin und Mental-Load-Expertin. «Und weil diese Denkarbeit so kleinteilig ist, verliert man schnell den Überblick darüber, was man alles geleistet hat.» Denn der Mental Load ist nicht dasselbe ist wie eine To-do-Liste, die man irgendwann abgehakt und erledigt hat. «Der Mental Load beginnt vorher: Das ist der Teil, bei dem die Mutter überlegt, was überhaupt getan werden muss. Und der ist im Gegensatz zur To-do-Liste nie zu Ende.»

Text: Jeanette Kuster

Text: Jeanette Kuster

Muss es immer Mama richten?

Doch weshalb bleibt diese Denkarbeit nach wie vor an den Müttern hängen, obwohl wir heute doch nach Gleichberechtigung streben? Laut Cammarata hat das mehrere Gründe. «Einerseits existiert diese absurde gesellschaftliche Vorstellung, dass es Frauen im Blut liegt, sich um andere zu kümmern», sagt sie. Viele Dinge würden deshalb auch unterschiedlich bewertet bei Mutter und Vater. «Stellt der Papa eine Fertigpizza auf den Tisch, finden das alle toll. Macht die Mama dasselbe, heisst es, sie kümmere sich nicht um die gesunde Ernährung ihrer Kinder.» Auch Schule und Hort rufen stets zuerst die Mutter an, wenn es ein Problem gibt. «Mein Mann und ich haben auf dem Kontaktformular absichtlich die Nummern vertauscht», erzählt Patricia Cammarata, «wenn die Betreuer dann überraschend den Papa am Hörer haben, entschuldigen sie sich jedes Mal für die Störung bei der Arbeit. Bei mir als Mama tun sie das nie.»

Neben diesen gesellschaftlichen Vorurteilen spielt auch die Zeit direkt nach der Geburt des Kindes eine Rolle. Die Mutter ist im Mutterschaftsurlaub, der Vater geht in der Regel sehr schnell wieder arbeiten. Entsprechend werden die Rollen verteilt: «Die Frau ist fortan zu Hause die Chefin und für alles verantwortlich, der Mann wird zum Zudiener, der wartet, dass ihm Aufgaben zugeteilt werden», sagt Cammarata.

«Der Mann wird zum Zudiener, der darauf wartet, dass seine Frau ihm Aufgaben zuteilt.»

Patricia Cammarata - Psychologin und Mental-Load-Expertin

Claudia, Mutter von zwei Teenagern, stimmt der Expertin zu: «Bei uns hat sich das unbewusst so eingeschlichen, weil ich nach der Geburt alleine mit dem Baby zu Hause war und danach Teilzeit gearbeitet habe. Gäbe es in der Schweiz eine Elternzeit, hätten wir uns die Aufgaben vielleicht von Beginn weg gerechter verteilt.» Doch es gibt auch Mütter, welche die ungleiche Verteilung nicht zu stören scheint. Die zweifache Mutter Emily sagt ganz klar, dass sie für die ganze Organisation und Planung zu Hause zuständig sei und ihr Mann sie lediglich bei der Ausführung von Aufgaben tatkräftig unterstütze. «Ich melde mich dafür, wenn ich mal einen freien Abend brauche», sagt die berufstätige Mutter, «denn das ist einfacher umzusetzen, als den Mental Load aufzuteilen.»

Noch relativ neu in der Mutterrolle ist Samira, die vor einem Jahr ihr erstes Kind bekommen hat. Sie war lange der Überzeugung, dass ihr Mann und sie sich die Familienarbeit sehr gerecht aufteilen. «Aber als der erste Geburtstag unseres Sohnes anstand, habe ich gemerkt, dass die ganze Organisation dann doch an mir hing, obwohl ich auch berufstätig bin.» Wenn ihr solche Dinge auffallen, spricht Samira sie gleich an. Meist werde sie dabei emotional, «denn eigentlich graut es mir davor, eine dieser Mütter zu werden, die sich immer alleine um alles kümmern».

Mental Load: Sind Frauen selbst schuld?

Tatsächlich hört man oft den Vorwurf, dass die Mütter selbst schuld seien an der Misere, weil sie die Arbeit gar nicht an ihre Männer abgeben wollen. «Solche Fälle gibt es natürlich», sagt Cammarata. Allerdings gibt sie zu bedenken, dass die Frauen manchmal deshalb lieber alles selbst machen, weil sie wissen, dass jeder Fehler auf sie zurückfallen wird. «Wenn das Kind keinen Znüni dabeihat, weil der Papa ihn vergessen hat, ist in den Augen der Gesellschaft trotzdem die Mama schuld – das ist leider eine Tatsache.»

Die Gesellschaft wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Was also können Elternpaare tun, um das Problem bei sich zu Hause zu entschärfen? Vielleicht ihre Arbeitspensen überdenken. «Wenn beide gleich viel arbeiten und die Kinder gleich oft betreuen, kann das helfen», sagt die Expertin, «weil sich so beide die finanzielle Verantwortung wie auch die Verantwortung für den Nachwuchs teilen.»

Auszeit für Mama einplanen

Hilfreich wäre es auch, wenn die Mutter regelmässig allein Ferien machen und den Mann mit dem Nachwuchs sich selbst überlassen würde. «Das ist aber unfassbar schwer umzusetzen, weil da sofort die Rabenmutter-Vorwürfe kommen», sagt Cammarata. Zieht Mama es trotzdem durch und verreist für eine Woche, ist es oft so, dass sie entweder alles vororganisiert, oder danach doppelt so viel nacharbeitet. «Deshalb ist es enorm wichtig, dass der Mann sich bei so einem Versuch fest vornimmt, wirklich alles allein zu machen und die Frau nicht mit Anrufen zu stören während ihrer Auszeit.»

Was laut Zweifach-Mama Claudia im Alltag hilft: Nicht immer perfekt sein wollen. Das unterschreibt Patricia Cammarata zu hundert Prozent: «Eltern haben keinen Feierabend, nach der Arbeit kommt die Sorgearbeit. Deshalb gilt es, seine Ansprüche runterzuschrauben und einfache Lösungen zu finden.» Dann wird eben nur das Wohnzimmer aufgeräumt anstatt die ganze Wohnung. Oder einmal mehr eine Fertigpizza serviert. Die Kinder zumindest dürfte das kaum stören.

Unser Buchtipp: «Raus aus der Mental Load Falle» von Patricia Cammarata

Tipps gegen elterliche psychische Belastung: So läuft es besser

  • Auch der Vater sollte von Beginn weg regelmässig alleine zum Baby schauen und während dieser Zeit die volle Verantwortung tragen. So verhindert man, dass die Frau in die Rolle der Alleinverantwortlichen gedrängt wird.
  • Gleiche Arbeits- und Betreuungspensen sorgen automatisch für mehr Ausgeglichenheit in Sachen Mental Load.
  • Alleinerziehende haben so gut wie keine Chance, einen Teil des Mental Loads abzugeben. «Es wäre toll, wenn umliegende Familien sie unterstützen würden. Man sollte generell eine Regel einführen, dass Alleinerziehende zum Beispiel nicht auch noch einen Kuchen fürs Schulfest backen müssen», sagt Patricia Cammarata.
  • Prioritäten setzen: Was muss zwingend erledigt werden, was kann warten?
  • Einfache Lösungen bevorzugen: Nach einem Arbeitstag tun es auch Fertig-Gnocchi statt dem aufwändig gekochten Menu.
  • Miteinander reden: Thematisieren Sie den Mental Load, damit er nicht länger unsichtbar bleibt.

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Foto: Getty Images

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