Sekundarschulvorbereitung: So gelingt der Übertritt in die Oberstufe
Im Frühling werden für viele Primarschülerinnen und -schüler Weichen für ihre Schulkarriere gestellt. Die Tipps von Psychologin Stefanie Rietzler zum Thema Sekundarschulvorbereitung für nervöse Kinder – und die Eltern.
Welche Sorgen haben Kinder und Eltern?
Für viele Familien ist die Zeit des Übertritts aufregend. Manche Eltern denken: Jetzt gilts ernst! Entweder öffnen sich für mein Kind die Türen zu einem erfüllten Leben, oder es landet auf dem Abstellgleis. Kinder stresst in der Regel der soziale Aspekt am meisten. Sie fragen sich: Was, wenn ich nicht mit den Freunden in die Klasse komme? Messen Eltern dem Entscheid eine riesige Bedeutung bei, spüren Kinder den Druck.
Tipps:
- Relativieren: Beim Wechsel an die Oberstufe erfolgt eine erste Einteilung. Korrekturen in alle Richtungen sind dank des durchlässigen Bildungssystems noch möglich.
Nützliche Informationen
Welche Rolle spielen die Erwartungen an die Kinder?
Die meisten Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder einen Weg einschlagen wie sie selbst – oder Chancen nutzen, die ihnen selbst verwehrt geblieben sind. Dann heisst es zum Beispiel: «Bei uns in der Familie haben alle studiert.» Oder manchmal vielleicht auch: «Mach etwas Gescheites, eine Lehre, und nicht so etwas Verkopftes.» Solche Erwartungen verunsichern Kinder. Studien belegen, dass diejenigen, die in der Familie als Erste einen akademischen Weg einschlagen, häufiger an Prüfungsangst leiden und ihre Wahl oft hinterfragen. Auf der anderen Seite fühlen sich Akademikerkinder oft genötigt, eine Matura zu machen und zu studieren, auch wenn ihnen dieser Weg überhaupt nicht liegt.
Tipps:
- In sich gehen: Worum geht es mir als Vater oder Mutter wirklich? Um das Wohl des Kindes oder das Bild nach aussen?
- Sich bewusst sein: Für Kinder ist es enorm schwierig, sich gegen den Weg zu stellen, den die Eltern für richtig halten.
- Dem Kind signalisieren: Es geht darum, eine Schule zu finden, die zu dir passt.
Was tun, wenn ein Kind es nicht in die gewünschte Schulstufe geschafft hat – so sehr es das wollte?
Im ersten Moment bricht für viele eine Welt zusammen und sie zweifeln an sich. Oft haben Schüler und Schülerinnen auch Angst, ihre Eltern oder Lehrpersonen zu enttäuschen oder als Versager dazustehen. Es hilft Kindern, wenn die Eltern die Enttäuschung des Kindes zulassen und Verständnis zeigen. Vielleicht haben sie etwas Ähnliches erlebt und können davon berichten?
Tipps:
- Dem Kind klar zeigen: Es ändert nichts am Bild der Eltern vom Kind oder an ihrer Zuneigung.
- Anerkennen, dass es für das Kind langfristig wohl besser ist, wenn es in einer Schule ist, die seinem Lerntempo entspricht. Ist ein Kind immer das langsamste und muss ständig bangen, nicht versetzt zu werden, nagt das am Selbstvertrauen und Selbstwert.
- Lösungen suchen: Bleibt das Kind traurig, hat sich aber etwas gefangen, kann man gemeinsam herausfinden, was es genau belastet. Sind es die Freunde, bei denen man nicht bleiben kann? Dann kann man besprechen, wo sich ausserhalb der Schule Möglichkeiten bieten, diese Freundschaften weiterhin zu pflegen. Oder ist es ein Berufswunsch, der (vermeintlich) geplatzt ist? Hier können Eltern mit dem Kind klären, ob ein anderer Weg zum Ziel offensteht, oder nach Alternativen suchen, die den Interessen des Kindes auch entsprechen.
Und wenn ein Kind sein Potenzial gar nicht ausschöpfen will?
Für Eltern ist das schwer mitanzusehen. Aber: Begabung und Intelligenz verpflichten nicht zu einer akademischen Karriere. Manche Kinder sind zwar sehr clever, haben aber eine grosse Abneigung gegen schulisches Lernen. Vielleicht ist das Kind auch einfach noch nicht reif, so viel Zeit ins Lernen zu investieren. Diese Kinder erfüllt es manchmal mehr, früher in die Berufswelt einzutauchen und sich eventuell später weiterzuqualifizieren.
Tipps:
- Offenes Gespräch mit dem Kind führen: Was machst du gerne? Wo liegen deine Interessen und Stärken? Welche Ziele für die Zukunft möchtest du erreichen? Welche Wege führen dorthin? Welche Vor- und Nachteile hätten die verschiedenen Schulen? Was ist dir wichtig? Dabei gilt es, geduldig zu sein. Es ist in diesem Alter sehr herausfordernd, Antworten auf solche Fragen zu finden.
Sekundarschulvorbereitung: Gut zu wissen
- Egal, wo es in der Oberstufe weitergeht: Ein Übertritt bedeutet immer auch Abschied nehmen, von der Klasse, den Lehrpersonen, der Schule.
- Eltern haben häufig das Gefühl, als «gute Eltern» müssten sie ihr Kind aufs Gymnasium bringen. Das ist weder ihre Aufgabe, noch in ihrer alleinigen Kontrolle. Vielmehr sollten sie gemeinsam mit den Lehrpersonen herausfinden, welche Schulform am besten zum Kind passt, und reagieren, wenn es über- oder unterfordert ist.
- Der Versuch, Kinder durch Schreckensszenarien zu motivieren, bewirkt das genaue Gegenteil. Statt zu sagen: «Gibst du jetzt nicht Gas, sehe ich Schwarz», besser an positiven Szenarien arbeiten und das Kind einbeziehen: «Wenn du dich jetzt einsetzt, könntest du XY erreichen. Das würde dir die Chance geben ... »
- Auch die leistungsstarken Kinder, die eine anspruchsvollere Schule kommen, sind häufig zuerst verunsichert. Hier spricht man vom «Fischteich-Effekt»: Die Kinder realisieren, dass sie nicht mehr «der grösste Fisch im Teich sind», sondern auch mal schlechter abschneiden.
Mit Kindern lernen leicht gemacht
Im wissenschaftlich evaluierten Onlinekurs «Mit Kindern lernen» erfahren Eltern in zwölf Lektionen und Kurzvideos gratis, wie sie die Kinder bei Lernen und Hausaufgaben entspannt begleiten. Von der Mitentwicklerin Stefanie Rietzler, Psychologin und Lerncoach, stammen auch die Tipps dieses Artikels.
Infos auf mit-kindern-lernen.ch
Unterschiedliche Kantone, unterschiedliche Übertritte
Die Sekundarstufe I ist Teil der obligatorischen Schule und dauert drei Jahre, im Kanton Tessin (Scuola media) vier Jahre. Auf der Sekundarstufe I werden verschiedene Schultypen geführt. Die meisten Kantone kennen verschiedene Leistungsstufen, wie z.B. die Realschule, die Sekundarschule oder das Gymnasium.
Der Übertritt von der Primarstufe in die Sekundarstufe I erfolgt je nach Kanton und Schultyp unterschiedlich. Konsultiert werden in fast allen Kantonen die Lehrpersonen, die Erziehungsberechtigten sowie die Schülerinnen und Schüler. Zu den zusätzlich konsultierten Instanzen gehören die Schulleitung und die Schulaufsichtsbehörden. Zuständig für den endgültigen Übertrittsentscheid sind in der grossen Mehrheit der Kantone die Schulaufsichtsbehörden, wie z.B. die Schulkommission, die Schulpflege oder das Schulinspektorat.
In Graubünden entscheidet die gesamtheitliche Beurteilung sowie Gespräche mit den Eltern und Schülerinnen und Schülern, ob es die Sekundarschule oder die Realschule sein soll. Bei Uneinigkeit kann eine Prüfung absolviert werden. Dies ist sonst nur noch im deutschsprachigen Teil von Bern, sowie in den Kantonen Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Glarus und Thurgau möglich. Aargau setzt auf eine Gesamtbeurteilung. In Luzern zählen die Zeugnisnoten, die fachlichen Kompetenzen, sowie die künftige Entwicklung. In St. Gallen ist die Empfehlung der Lehrer:innen, sowie das Notenbild ausschlaggebend. In Zürich zählt die Gesamtbeurteilung, die sich aus den kognitiven Fähigkeiten, dem Arbeits-, Lern- und Sozialverhalten sowie der persönlichen Entwicklung und Lernkontrollen zusammensetzt.
In zehn Kantonen der Deutschschweiz gibt es Langzeitgymnasien (Dauer sechs Jahre). Der Eintritt erfolgt im Anschluss an die Primarstufe. In den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Uri und Zug aufgrund einer Zuweisungsempfehlung. Oft ist ein Notendurchschnitt von 5,2 ein Richtwert in der Beurteilung. In Glarus, Graubünden, St. Gallen und Zürich muss eine Aufnahmeprüfung absolviert werden.
Foto: Getty Images
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