Babys drittes Jahr

Wie sich Zweijährige das Sprechen aneignen – und warum einige Kinder etwas länger haben

Manche Kinder äussern mit zwei Jahren schon kleine Sätze, andere sprechen kaum ein Wort. Warum die Unterschiede beim Sprechen lernen gross sein können, erklärt Susanne Mathieu, Präsidentin der Gesellschaft für entwicklungspsychologische Sprachtherapie GSEST.

Susanne Mathieu ist Präsidentin der Gesellschaft für entwicklungspsychologische Sprachtherapie GSEST. Als Therapeutin ist die Mutter von zwei Jungen im Jugendalter in eigener Praxis für Vorschulkinder tätig. Der frühe Spracherwerb und das Sprachverständnis sind ihre Schwerpunktthemen als Kursleiterin, Dozentin und Supervisorin.

Susanne Mathieu
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Susanne Mathieu

Präsidentin der Gesellschaft für entwicklungspsychologische Sprachtherapie GSEST

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Das Wichtigste in Kürze:

  • Die meisten Zweijährigen sprechen schon einige Worte, die sie hin und wieder zu einem kurzen Satz zusammensetzen.
  • Mädchen lernen oft schneller sprechen als Jungen.
  • Sprachverstehen und «So-tun-als-ob»-Spiele sind wichtige Voraussetzungen für das Sprechen lernen.
  • Kinder brauchen keine spezielle Förderung, um sprechen zu lernen. Der Alltag bietet genügend Anreize.

Frau Mathieu, verstehen kleine Kinder bereits die Bedeutung der Sprache?

Ja, mit zwei Jahren hat das Kind bereits entdeckt, wofür die Sprache da ist. In erster Linie hat sie zwei Funktionen. Einerseits steht sie stellvertretend für die Welt und repräsentiert sie. Andererseits entfaltet sie dann ihre Wirkung, wenn sie an jemanden gerichtet, also kommunikativ genutzt, wird. Wenn Kinder sprechen, dann über etwas, das mit ihrer Welt, der Welt des Kleinkindes, zu tun hat.

Was können Kinder zu Beginn des dritten Lebensjahres vielleicht schon sprechen?

Zweijährige äussern einzelne Wörter und setzen auch schon zwei Wörter zu einem Minisatz zusammen. So sagen sie vielleicht «Mama» und «Papa» oder auch «Oma» und «Opa», «Auto», «Bäbi», «Teddy», «Wauwau» oder «Ball», «Nane» für Banane und «Bot» für Brot. Oder sie sagen «Mama Nane» – wenn sie möchten, dass ihnen die Mama eine Banane gibt, oder wenn sie sagen möchten, dass Mama eine Banane isst.

Lernen Mädchen schneller sprechen?

Mädchen beginnen statistisch gesehen früher als Jungen zu sprechen. Sie scheinen insgesamt in der Sprachentwicklung etwas stabiler zu sein. So belegen Zahlen einen etwas grösseren Wortschatz im dritten Lebensjahr. Gleichzeitig sind es auch deutlich mehr Jungen, die Schwierigkeiten im Spracherwerb zeigen und eine entsprechende Therapie brauchen.

Ist es normal, wenn manche Kinder auch mit zwei Jahren kaum sprechen?

Ja, manchmal ist das ganz normal. Dann hat das Kind die Sprache schon entdeckt und versteht, was Bezugspersonen zu ihm sagen. Aber vielleicht hat es noch Mühe, die Wörter selbst auszusprechen. In einem solchen Fall wird das Kind die Verzögerung bis zum Alter von zweieinhalb Jahren wieder aufholen.

Wann dagegen gilt spätes Sprechen als nicht normal?

Es gibt auch Kinder, die noch nicht entdeckt haben, wofür Sprache da ist. Sie haben meist Schwierigkeiten, die Sprache zu verstehen, die an sie gerichtet wird. Zwar interpretieren sie die Situation, entschlüsseln aber nicht die Wörter. Für diese Kinder bleibt die Sprache deshalb uninteressant. Sie entwickeln keine aktiven Spracherwerbsstrategien. So zeigen sie zum Beispiel nicht auf Dinge, um die Bedeutung mit jemandem zu teilen und dabei auch die Wörter zu hören.

Haben solche Kinder auch andere Entwicklungsverzögerungen?

Ja, die meisten Kinder mit Verzögerungen in der Sprache zeigen auch Verzögerungen in ihren Kompetenzen im Spiel. Sie bleiben länger bei einzelnen, eher funktionalen Tätigkeiten wie beispielweise dem Hin- und Herfahren mit dem Auto. Sie kommen aber nicht richtig in das symbolische Spiel, das «So-tun-als-ob»-Spiel, hinein, bei dem es zunächst darum geht, die Welt nachzuahmen und im Spiel darzustellen. Wäre das der Fall, würden sie beispielsweise mit dem Auto auch unter den Stuhl fahren und so tun, als würden sie in einer Garage parken. Gerade das Sprachverstehen und das Symbolspiel sind grundlegende Voraussetzungen für einen erfolgreichen Spracherwerb. Grundsätzlich gibt es aber viele verschiedene Gründe dafür, dass ein Kind nicht oder verzögert spricht. Deshalb müssen sie in jedem Fall individuell erfasst werden.

Welche Kinder brauchen beim Sprechenlernen länger?

Beobachtet man kleine sprachauffällige Kinder, fällt oft auf, dass viele von ihnen noch stark damit beschäftigt sind, die Gegenstandswelt zu erforschen. Weil diese Tätigkeiten sie noch sehr fordern, hören diese Kinder die Sprache eher wie Hintergrundmusik. Sie bringen sie daher weniger mit Gegenständen oder Tätigkeiten in Beziehung. Andere wiederum können sich kaum auf eine Spielhandlung einlassen. Sie sind motorisch unruhig und wechseln das Spiel sehr häufig. Auch gelingt es ihnen weniger, Wörtern eine Bedeutung zuzuordnen.

Können Kinder Schwierigkeiten haben, Sprache zu erwerben, obwohl sie sonst gut entwickelt sind?

Ja, es gibt Kinder, denen vieles gut alleine gelingt und die sich auch gut beschäftigen können. Sie haben aber kein Bedürfnis, ihre Entdeckungen mit jemandem zu teilen. Wir beobachten dann meist Schwierigkeiten in mehreren Bereichen, die für den Spracherwerb notwendig sind. Zu diesen Prozessen gehören das Sprachverstehen und das Handeln mit dem Ziel, die Welt zu entdecken und Erkenntnisse zu gewinnen. Genauso wichtig sind der Prozess der Loslösung und das Trotzen. Dabei geht es darum, ein Individuum zu werden, das realisiert, dass es nicht einfach von allen verstanden wird, und sich deshalb aktiv austauschen muss.

Müssen Eltern das Sprechen lernen fördern?

Nein, Kinder brauchen in der Regel keine spezielle Förderung, um sprechen zu lernen. Denn sprachliche Förderung findet bereits im Alltag statt – immer dann, wenn Eltern oder andere Menschen mit und zu Kindern sprechen. Der Alltag steckt voller Gelegenheiten für Kommunikation: So sprechen Eltern mit ihren Kindern beim Wickeln oder beim Essen, wenn sie kochen oder Altglas entsorgen in der Überzeugung, dass sich das Kind für das, was sie sagen, interessiert. Wichtig ist dabei eine stabile emotionale Bindung, die den Kindern ermöglicht, die Welt mit einem Gefühl der Sicherheit und Ruhe erforschen zu können.

Weitere Informationen:
Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband DLV: www.logopaedie.ch

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Foto: Getty Images

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