Babyalltag

Erlauben oder verbieten? Wie eigene Erfahrungen das Kind fördern

Schon im ersten Lebensjahr arbeiten Kinder wie kleine Wissenschaftler. Warum Eltern ihre Kinder beim Forschen und Experimentieren unterstützen sollten, erklärt der Entwicklungspsychologe Prof. Moritz Daum aus Zürich.

Prof. Moritz Daum leitet die Fachrichtung ‚Entwicklungspsychologie: Säuglings- und Kindesalter‘ an der Universität Zürich. Der 46jährige ist Vater von drei Kindern im Alter von neun, zwölf und 15 Jahren.

Prof. Dr. Moritz Daum
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Moritz Daum

Entwicklungspsychologe, Universität Zürich

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Entwicklungspsychologe, Universität Zürich

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Das Wichtigste in Kürze:

  • Schon kleine Kinder erforschen systematisch ihre Umwelt.
  • Dafür brauchen sie ein anregendes Umfeld mit vielfältigen Lernmöglichkeiten.
  • Experimentierfreude hat da ihre Grenzen, wo Kinder sich oder andere ernsthaft verletzen können.
  • Eltern dürfen auch mal keine Lust auf Matscherei und Unordnung im Haus haben.
  • Wenn Eltern ihr Kind bei seinen kleinen Forschungen unterstützen, lernt es, die Umwelt besser zu verstehen.

Herr Prof. Daum, kleine Kinder werfen immer wieder Löffel vom Tisch, matschen im Essen herum, wühlen im Blumentopf oder ziehen Kleidungsstücke vom frisch zusammengelegten Wäscheberg. Damit stellen sie die Geduld ihrer Eltern auf eine harte Probe.

Ja, das tun sie aber aus gutem Grund. Schon der Schweizer Entwicklungspsychologe Jean Piaget sah in Kindern kleine Wissenschaftler. Sie erforschen die Welt, um sie zu verstehen. Denn Kinder wundern sich über vieles in der Welt, das für sie neu ist. Sobald sie motorisch in der Lage sind, zu greifen und sich fortzubewegen, beginnen sie, den Dingen auf den Grund zu gehen.

Was auf Eltern manchmal belanglos und nervig wirkt, sind also wichtige Experimente?

Genau. Stell dir vor, beim Essen rutscht zufällig die Gabel vom Tisch und fällt auf den Boden. Das Kind wundert sich. Wie ein Wissenschaftler stellt es eine Hypothese auf, zum Beispiel: «Eine Gabel fällt auf den Boden, wenn ich sie über den Tischrand schiebe.» Nun gilt es, diese Hypothese zu überprüfen. Deshalb schiebt das Kind die Gabel immer und immer wieder vom Tisch. Es sammelt Daten, um eine Hypothese zu testen.

Puh, das hört sich an, als könnte das Experiment eine Weile dauern.

Der Versuch ist erst beendet, wenn dem Kind klar wird, dass die Gabel wohl tatsächlich niemals in der Luft schwebt. Doch schon entstehen neue Fragen: Fällt die Gabel auch auf den Boden, wenn ich sie in der Hand halte und die Hand öffne? Funktioniert das auch mit dem Löffel, mit dem Kuscheltier, mit Mamas Brille? Was geht kaputt, was nicht? Wie hört sich der Aufprall an? Ah, das Papier sinkt viel langsamer, es segelt durch die Luft. Ist das immer so? Auf diese Weise lernen Kinder nach und nach die Welt und ihre Zusammenhänge kennen.

Eltern kann das ganz schön nerven …

Wenn Eltern wissen, dass Kinder gerade dabei sind zu forschen und zu lernen, können sie die Situation gelassener betrachten. Sicher, sie könnten nichts mehr auf den Tisch legen, was herunterfallen kann. Aber das wäre schade, weil sie dann den Forschungsdrang von Kindern unterbinden. Kinder brauchen vielfältige Lernmöglichkeiten! Doch natürlich hat die Experimentierfreude der Kinder auch ihre Grenzen.

Wo liegen diese Grenzen?

Kinder dürfen sich durchaus mal weh tun. Das hilft, eigene Fähigkeiten und die Gefahren, die von Gegenständen ausgehen, besser einzuschätzen. Aber immer dann, wenn Kinder sich ernsthaft verletzen können, sind die Grenzen des Experimentierens erreicht. Und natürlich haben Eltern nicht immer Lust und Zeit, ihr Kind gewähren zu lassen. Wenn sie es nicht ertragen, dass die Gabel zum 75. Mal auf den Boden gefallen ist, können sie sagen: «Ich habe jetzt keine Lust mehr, die Gabel aufzuheben.»

Das kann beim Kind Frustration auslösen …

Ja, aber auch solche Rückmeldungen aus der Umwelt stellen eine wichtige Lernerfahrung dar. So lernt das Kind: Eltern haben irgendwann genug von diesem Experiment und machen dann nicht mehr mit. Kinder müssen grundsätzlich auch lernen, mögliche Reaktionen der sozialen Umwelt einzuschätzen und mit ihnen umzugehen.

Milch einschütten, die Treppe hinauf krabbeln, eine Banane selber essen ... all das geht nicht nur langsam, sondern oft auch schief. Was tun, wenn das Kind ständig ausprobieren und lernen will, aber die Zeit viel zu knapp ist, um ständig aufzuwischen und aufzupassen?

Manches können Eltern nicht leisten. Sie haben nicht immer Zeit und nicht immer die vielleicht notwendige Geduld. Auch das ist etwas, was Kinder lernen – eine wichtige Erfahrung. Eltern können Verantwortung gelegentlich zum Beispiel an Grosseltern und Paten abgeben. Vielleicht haben sie Lust, mit dem Kind ausgiebig zu experimentieren – zu Hause, in der Küche, auf dem Spielplatz. Auch Förderkurse können sinnvoll sein, sofern sie das Selbstentdecken fördern.

Versuch macht klug – daran glaubte die italienische Maria Montessori, Begründerin der Montessori-Pädagogik … Trifft dieser Satz auch heute noch zu?

Ja, Eltern sollten deshalb möglichst die Experimente und den Forscherdrang ihres Kindes unterstützen, mit ihm gemeinsam staunen und sich mit ihm über Aha-Erlebnisse freuen. Bei dem Kind entstehen so positive Gefühle, die es anregen, weiter neugierig und aktiv zu sein. Auf diese Weise fördern Eltern die lebenslange Experimentierfreude ihres Kindes. Es kann dann mehr erreichen, als wenn es auf sich allein gestellt wäre, und sein Lernpotential optimal ausnutzen.

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Foto: Getty Images / zVg Moritz Daum

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