Medien

Handyverbot macht Schule

An immer mehr Schulen in der Schweiz herrscht striktes Handyverbot. Wie gehen Jugendliche und Lehrpersonen damit um? Ein Augenschein an der Sek I Baden.

Mit seiner neongelben Weste sticht der Mann aus dem Gewusel in den Gängen der Burghalde heraus. Es ist grosse Pause in der Sekundarschule I in Baden. Stimmengewirr und Lachen hallen durchs Gebäude. Der Mann, ein Lehrer mit Pausenaufsicht, steht vor einer Reihe Schliessfächer und füllt eine Liste aus. In der Linken hält er ein Handy – nicht seines, sondern das eines Schülers. Er hat es eben eingezogen. Bis zum Ende des Halbtags sperrt er das Gerät weg. Und der Junge? Er kann es zu fix festgelegten Zeiten wieder abholen.

Per 1. August 2025 hat der Kanton Aargau ein Handyverbot an Schulen eingeführt, Tablets und Smartwatches inbegriffen. Die Sek I Baden hat die neue Regelung so umgesetzt, dass private Geräte zwar mitgeführt werden dürfen, während des Schultags aber ausser Sicht verstaut und stumm geschaltet sein müssen. Ausnahme ist die Mittagszeit. Den Schülerinnen und Schülern ist es dann erlaubt, die Geräte in der Mensa und im Aussenraum zu nutzen. Diese Regelung soll einen klar definierten Rahmen bieten und dazu beitragen, dass sich die Jugendlichen während der Mittagszeit auf dem Schulareal aufhalten.

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Schulkind Teenager

Text: Jörg Marquardt

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Was bringt ein Handyverbot an Schulen?

Sarah Keller, Schulleiterin Sekundarstufe I, ist zufrieden, wie die Umstellung seit August läuft. «Seit die Handys unsichtbar sind, wird in den Pausen viel mehr miteinander geredet und gespielt.» Was beim Rundgang noch auffällt: überall wache Blicke, aufmerksames Grüssen. «Vor den Sommerferien standen die Kids oft wie angewurzelt da und starrten nur noch auf ihr Smartphone.»

Mangelnde Konzentration, mentale Probleme, Mobbing, unerlaubte Fotos und Videos – die schädlichen Folgen von zu viel Bildschirmzeit belasten den Schulalltag auch andernorts immer mehr. Neben dem Aargau haben zwei weitere Kantone ein Handyverbot eingeführt (siehe Kasten).

Handyverbot an Schweizer Schulen

Es gibt kein landesweites Handyverbot in der Schweiz. Als erste Kantone haben Nidwalden, Aargau und Wallis strikte Regeln erlassen, die die Nutzung privater elektronischer Geräte auf dem Schulareal ab dem laufenden Schuljahr verbieten. Im Kanton Waadt ist bereits seit 2018 ein moderates Verbot an Pflichtschulen in Kraft – dort müssen Handys während des Unterrichts im Schulthek verstaut und stumm geschaltet sein. Weitere Kantone wie Solothurn oder Luzern setzen auf individuelle Regelungen durch die Schulen.

Es gibt einen grossen Konsens sowohl in der Politik als auch unter Bildungsfachleuten, dass Kinder und Jugendliche durch Verbote oder Einschränkungen in ihrem Medienkonsum geschützt werden müssen. Wie denken die Schülerinnen und Schüler darüber?

«Ich finde das Verbot gut, wir verbringen definitiv zu viel Zeit am Handy», sagt Matti Wüthrich (14). Der Schüler der 3. Sekundarklasse beobachtet seither einen intensiveren Austausch zwischen den verschiedenen Klassenstufen. Vermissen tut er sein Handy nur im Fach Bildnerisches Gestalten: «Beim Zeichnen habe ich sonst gern Musik aus meiner Playlist gehört.»

Seine Klassenkameradin Leonie Lüthi (15) stört sich daran, dass sie nicht einmal in den kleinen Pausen zum Handy greifen darf. «Aus Lehrersicht kann ich das Verbot zwar verstehen, aber eigentlich sollten wir selbst in der Lage sein, unseren Handykonsum zu kontrollieren.»

Was passiert bei Verstössen?

Mary Pletscher ist die Klassenlehrerin von Leonie und Matti. Sie stellt sicher, dass ihre Schülerinnen und Schüler das Verbot einhalten. «Vor dem Betreten der Schule müssen sie ihr Handy versorgen, am besten im Schulthek.» Das Tragen im Hosensack ist nicht erlaubt – zu gross ist die Ablenkungsgefahr.

Erwischt Pletscher jemanden, zieht sie das Gerät sofort ein, deponiert es im Schliessfach und macht einen Eintrag in die Liste. Beim zweiten Verstoss werden die Eltern informiert, beim dritten Verstoss steht eine Wiedergutmachungsarbeit an einem freien Nachmittag an.

Für die Lehrerin ist die kantonale Regelung schon jetzt ein Erfolg: Nicht nur würden die Kinder in den Pausen mehr miteinander reden, sondern sich auch mehr über das Areal bewegen. Vom Verbot profitierten ihr zufolge auch jene, die das Handy überwiegend aus Gruppenzwang nutzten – etwa zum gemeinsamen Gamen. «Sie sind jetzt entspannter.»

Im Unterricht selbst bemerkt Mary Pletscher noch keine erhöhte Konzentration. Dies dürfte auch daran liegen, dass der Kontrast zu vorher für ihre Klasse eher gering ausfällt: Bis zu den Sommerferien hat sie alle Handys jeweils vor dem Unterricht eingesammelt. Mittelfristig erhofft sie sich von der neuen Regelung einen Rückgang beim Mobbing, aber auch beim Vandalismus: «Seit etwa drei Jahren nehmen die Fälle zu, weil sich die Kinder in den sozialen Medien gegenseitig dazu anstacheln.»

Pletscher ist überrascht, wie gut die neue Regelung akzeptiert wird. Nur vereinzelt nutzten Jugendliche das Handy heimlich. Laut Schulleiterin Sarah Keller waren es 45 Regelverstösse im ersten Monat – eine Petitesse bei 1080 Schülerinnen und Schüler an der Burghalde.

Was nervt Schüler*innen und Lehrpersonen am meisten?

Am leichtesten fällt die Umstellung an die neue Regelung den Jüngsten, so wie Lucien Grimm (12) aus der 1. Sekundarstufe. Für ihn ist das Verbot normal: «Ich komme direkt von der Primarschule, wo wir gar keine Handys mitnehmen durften.» Die Mittagspause verbringt er eh lieber am Billardtisch als am Handy.

Auch Elia von Känel und Niklas Prader (beide 13) aus der 2. Sekundarstufe lassen ihr Handy meistens im Schulthek. «Von uns Jungs spielen fast alle Pingpong oder Schach, jetzt sogar noch mehr als früher», sagt Niklas. Nur eines wünschen sie sich: dass es über den Mittag weitere Handyzonen im Schulgebäude gäbe. Elia: «Die Mensa ist momentan einfach zu voll.»

Durchs Band genervt sind alle befragten Schülerinnen und Schüler über die eingeschränkten Zahlungsoptionen in der Mensa: Bezahlen mit dem Handy ist in der Morgen- und Nachmittagspause nicht mehr erlaubt. Stattdessen benötigen sie entweder Bargeld, eine Debitkarte – oder eine aufladbare Bezahlkarte. Letztere wurde in Zusammenarbeit mit der Betreiberin der Mensa entwickelt. «Die Suche nach einer geeigneten Bezahllösung war besonders anspruchsvoll und hatte Folgekosten», verrät Schulleiterin Sarah Keller.

Eine weitere Herausforderung: Um die Einhaltung der Regel sicherzustellen, mussten Keller und die anderen Schulleitenden die Pausenaufsicht erheblich ausbauen – zulasten der Zusammenarbeit im Kollegium. «Wenn wir vermehrt Lehrpersonen für diese Aufgabe heranziehen, fehlt die Zeit für den beruflichen Austausch in den Teamzimmern.»

Trotzdem begrüsst Sarah Keller, dass der Kanton Aargau einheitliche Regeln für alle Schulen vorgibt. «Vorher suchten wir an unserer grossen Schule mit vielen verschiedenen Meinungen und Haltungen stets den Kompromiss. Die klare Vorgabe bringt nun eine gewisse Entlastung, auch wenn diese Regel keine pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema ersetzt.»

Angst, etwas zu verpassen

Die meisten Verstösse stellt die Schulleiterin unter den Jugendlichen aus den 2. und 3. Klassen fest. Diese durften im vorigen Schuljahr das Handy im Aussenraum noch nutzen, die neue Regelung stellt also eine Veränderung dar. Auch Lennox Meier (15), Schüler der 3. Realschule, hat schon gegen das Verbot verstossen – unwissentlich, wie er sagt: «Ich war auf dem Weg von der Schwimmhalle zurück zur Schule kurz am Handy, also gar nicht auf dem Schulareal.» Er sei aber nur ermahnt worden.

Für Lennox kommt das Handyverbot etwas verspätet. Vor allem vergangenes Jahr wäre es sinnvoll gewesen. Da hätten sie alle ständig «Brawl Stars» gespielt – ein Handy-Game für mehrere Spieler. «Eine Zeit lang war es echt schlimm.» Inzwischen sei der Hype vorbei. Er glaubt: Würde das Verbot gelockert, hingen heute viel weniger Leute am Handy als früher.

Seine Mitschülerin Sina Yonas (16) würde das Verbot gern wieder abschaffen. Vor allem in der grossen Pause vermisst sie den gewohnten Griff zum Handy – aus Angst, etwas Wichtiges zu verpassen. «Mir ist total wichtig, mit der Familie und meinen Kolleginnen im Kontakt zu bleiben.»

Damit spricht sie ein Bedürfnis an, das viele Eltern teilen. Dies kann auch problematische Züge annehmen, wie Lehrerin Mary Pletscher weiss: «Die Akzeptanz für das Verbot ist hoch, aber es gibt eine wachsende Gruppe von Eltern, die den Anspruch hat, dreimal am Tag mit ihren Kindern zu telefonieren.»

In besonderen Fällen, betont Pletscher, dürften Lehrpersonen die Nutzung des Handys in den Pausen zulassen, zum Beispiel wenn Angehörige erkrankt oder wichtige Nachrichten zu erwarten seien, etwa bei der Lehrstellensuche.

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