Babys zweites Jahr

Helfen und trösten: Wie kleine Kinder Empathie entwickeln

Das Kind soll später gut im Leben zurechtkommen. Das wünschen sich Eltern ganz besonders. Für den Erfolg im Leben gibt es eine wichtige Grundfertigkeit: Empathie. Wir haben nachgefragt, wie sie entsteht und was Eltern machen können, damit ihre Kinder empathisch werden.

Zur Person

Dr. Stephanie Wermelinger arbeitet als Post-Doktorandin am Psychologischen Institut, Universität Zürich. Sie erforscht, wie wir Handlungen von anderen verstehen, und beschäftigt sich mit Unterschieden zwischen ein- und zweisprachigen Kindern. 

Dr. Stephanie Wermelinger
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Dr. Stephanie Wermelinger

Post-Doktorandin am Psychologischen Institut, Universität Zürich

Nützliche Informationen

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Das Wichtigste in Kürze:

  • Menschen brauchen Empathie, um die Gefühle anderer nachzuempfinden. Ohne Empathie ist keine Gemeinschaft möglich.
  • Kleine Kinder verstehen negative Gefühle wie Trauer und Wut anderer noch nicht. Sie wollen helfen, wissen aber noch nicht wie.
  • Eltern sollten empathisches Verhalten nicht belohnen.
  • Eltern können viel für das Einfühlungsvermögen ihrer Kinder tun.

Frau Dr. Wermelinger, Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder empathisch werden. Doch was genau ist eigentlich Empathie?

Dr. Stephanie Wermelinger: Empathie ist die Fähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen und ihre Gefühle nachempfinden zu können. 

Empathie gilt als Schlüsselqualifikation …

Ja, Empathie ist ausserordentlich wichtig! Denn wir Menschen sind soziale Wesen. Wir alle brauchen Empathie, um uns in einer Gemeinschaft zurechtzufinden. Wir müssen ein Gespür dafür haben, was in den anderen abgeht – welche Absichten und Gefühle sie haben. Nur so können wir uns gegenseitig unterstützen. Empathie ist auch notwendig für den beruflichen Erfolg. Denn im Arbeitsleben geht es heute nicht mehr ohne Teamarbeit.

Brauchen auch Kinder schon Empathie?

Ohne Empathie verstehen Kinder nicht, warum sich andere Menschen auf eine bestimmte Art und Weise verhalten. Sie brauchen Empathie auch, um erste Freundschaften aufzubauen. 

Kommen Kinder schon mit einer gewissen Portion Empathie auf die Welt?

Nein. Babys können sich noch nicht in andere Menschen hineinfühlen.

Doch immer wieder lässt sich beobachten, dass schon ein Baby mitschreit, wenn ein anderes Kind weint …

Ja, es schreit mit, aber nicht, weil es mitfühlt. Es schreit mit, weil es noch nicht weiss, dass es ein – von anderen – abgrenzbares Wesen ist. Babys empfinden sich und andere noch als eine grosse Masse. Sie können also noch nicht differenziert zwischen sich und anderen unterscheiden. Erst zum Ende des ersten halben Lebensjahres entwickeln Babys allmählich ein Gefühl für sich selbst als Individuum. 

Neulich sah ich, wie ein Mädchen weinte. Ein Junge, fast zwei Jahre alt, suchte schnell sein Kuscheltier und reichte es dem Kind zum Trost.

Ab einem Alter von eineinhalb Jahren beginnen viele Kinder, empathisch zu reagieren. Sie erkennen schon, wenn sich jemand schlecht fühlt. Aber sie können noch nicht recht erfassen, was wirklich los ist, was zum Beispiel ein anderes weinendes Kind denken könnte. Sie wollen aber gerne helfen. Doch welche Hilfe angemessen ist, wissen sie noch nicht.

Nicht alle Kinder werden gleich empathisch …

Auch bei der Entwicklung der Empathie spielen die Gene eine Rolle. Angeboren ist zum Beispiel das Temperament. Zurückhaltende Kinder verhalten sich weniger empathisch. Sie können sich aber genauso gut in andere Menschen hineinversetzen wie weniger zurückhaltende Kinder. Die Gene bestimmen zu einem gewissen Teil auch die Fähigkeit, eigene Emotionen zu regulieren. Und wer zum Beispiel mit den eigenen Gefühlen schlecht klarkommt, kann mit den Gefühlen anderer noch weniger anfangen. Zu den Genen kommen Umwelteinflüsse.

Wie können Eltern Empathie fördern?

Am Anfang ihres Lebens sehen Kinder nur strahlende Gesichter. Doch nach und nach lernen sie, dass Gesichter auch andere Gefühle ausdrücken können: Trauer, Wut, Überraschung, Ekel, Scham, Stolz, Angst und vieles mehr. Eltern sollten unbedingt ihre Gefühle zeigen. Aber sie müssen sie auch benennen und erklären, damit das Kind sie einordnen und verstehen kann.

Haben Sie ein Beispiel?

«Ich bin jetzt wütend, weil wir den Bus verpasst haben oder weil mir das Essen angebrannt ist», können Eltern zum Beispiel sagen. Und sie sollten erklären, was sie tun, um mit diesem Gefühl besser klar zu kommen: «Ich boxe jetzt in das Kissen, damit das Gefühl weggeht.» So lernen Kinder viel über Emotionen. Weil sie sich an den Eltern orientieren und ihnen nacheifern, werden sie wahrscheinlich später auch gut über ihre eigenen Gefühle sprechen können. 

Eltern sollten also Vorbild sein?

Eltern vermitteln Einfühlungsvermögen am besten, indem sie selbst feinfühlig sind. Denn wenn Eltern feinfühlig mit ihrem Kind umgehen und ihm geben, was es braucht, sind sie ein gutes Vorbild. Die Empathie der Eltern hat also grossen Einfluss auf die Empathie des Kindes.

Was sollten Eltern nicht tun?

Eltern sollten empathisches Verhalten nicht belohnen. Das Kind immer wieder für seine Hilfe oder seinen Trost zu loben oder zu belohnen, kann dazu führen, dass es nur gegen solchen Lohn tätig wird. Kinder helfen gern, auch dann, wenn sie ihre eigene Tätigkeit unterbrechen müssen. Sie wollen Teil der Gemeinschaft sein. Aber die meisten Eltern tun das Richtige automatisch.

Sie machen sich um die Empathie also keine Sorgen?

Nein, die meisten Kinder werden empathisch genug. Empathie zu entwickeln, hört nie auf. Mit jeder sozialen Aktion lernen wir mehr dazu, auch als Erwachsene.

Foto: Getty Images / zVg Dr. Stephanie Wermelinger

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